Nur drei Haltestellen sind barrierefrei
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- Kategorie: Fraktionsbericht
- Veröffentlicht: Dienstag, 24. November 2020 23:59
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BNN 24.11.2020
Busfahren in Gaggenau stellt behinderte Menschen vor Schwierigkeiten / Ausbau bis 2026
Von BNN Redaktionsmitglied
Dominic Körner
Slobodan Mandic
Gaggenau. Die Stadt Gaggenau will bis 2026 49 Bushaltestellen behindertengerecht umbauen lassen. Derzeit sind gerade einmal drei der insgesamt 75 Haltestellen barrierefrei. Eine Gemeinderätin wirft der Stadt deshalb vor, nicht genug für behinderte Menschen zu tun. Das Personenbeförderungsgesetz schreibt für die Nutzung des ÖPNV eine vollständige Barrierefreiheit bis zum 1. Januar 2022 vor – eigentlich. „Die Frist gilt nicht, sofern Ausnahmen konkret benannt und begründet werden“, teilt die Stadt Gaggenau in ihrer Vorlage zur Gemeinderatssitzung am Montag mit. Der Umbau aller Bushaltestellen bis 2022 ist nach ihrer Auffassung „technisch und finanziell nicht umsetzbar.“
Gerade einmal drei von 75 Haltestellen sind barrierefrei, weitere 23 werden laut der Stadt nur durch ein Anruflinientaxi angefahren. Damit verbleiben 49 Haltestellen, die nun bis 2026 umgebaut werden sollen. Stationen mit hohen Fahrgastzahlen, die im Umfeld von Seniorenheimen, Ärztehäusern, Friedhöfen oder Nahversorgern liegen, werden priorisiert. Sie sollen bereits in zwei Jahren barrierefrei sein. Dazu zählen die Haltestellen am Schulzentrum Dachgrube, Waldfriedhof, Rathaus (Fahrtrichtung Ottenau), Sportplatz Oberweier, Rathaus Freiolsheim, Wiesental Michelbach, Oberdorf Sulzbach und an der Merkurschule Ottenau in Fahrtrichtung Selbach. Bis 2024 sollen weitere 20, bis 2026 zusätzliche 17 Haltestellen ausgebaut werden. Im Kern geht es um eine Erhöhung der Bordsteine, die behinderten Menschen den Zugang zu den Linienbussen erleichtern soll.
Die Stadt rechnet für den barrierefreien Ausbau mit Kosten von mehr als zwei Millionen Euro. Das Land bezuschusst die förderfähigen Kosten mit 75 Prozent. Für Anträge, die noch in diesem Jahr gestellt werden, wird zudem ein Zuschuss von bis zu 15 Prozent der förderfähigen Planungskosten gewährt. Die Stadt Gaggenau hat nach eigenen Angaben einen Antrag auf Programmaufnahme für den Zeitraum 2021 bis 2025 gestellt. Der Gemeinderat hat nun der Priorisierungsliste zugestimmt und die Verwaltung mit der weiteren Planung beauftragt. Die ersten Bushaltestellen in Gaggenau sollen in einem Jahr ausgebaut werden. Der künftig geplante innerstädtische Busverkehr mit sieben Linien in die Stadtteile, voraussichtlich ab Ende 2024, spielt bei den Planungen noch keine Rolle.
"Die Stadt hat das Thema seit Jahren vor sich hergeschoben."
Rosalinde Balzer CDU-Stadträtin
Dass bislang erst drei Haltestellen behindertengerecht sind, kann Rosalinde Balzer nicht nachvollziehen. Die CDU-Stadträtin ist selbst gehbehindert und auf Krücken angewiesen. „Die Stadt hat das Thema seit Jahren vor sich hergeschoben“, kritisiert Balzer. „Es ist deprimierend, dass wir immer noch am Anfang stehen.“ Für die frühere Ortsvorsteherin von Oberweier ist es „erstaunlich, wie wenig an behinderte Menschen gedacht wird.“ Balzer ist froh, dass sie trotz ihrer Einschränkungen mit dem eigenen Auto fahren kann: „Wäre ich auf den Bus angewiesen, wäre ich übel dran.“ Ohne fremde Hilfe hätte sie keine Chance, den Bus zu besteigen.
Als Stadträtin setzt sich Balzer seit Jahren für Menschen mit Behinderung ein. Ihre Bilanz fällt ernüchternd aus: „Ich habe nicht den Eindruck, dass sich viel tut.“ Zwar habe es in Gaggenau eine Inklusionsgruppe gegeben, die sich mittlerweile allerdings aufgelöst habe. „Für viele Menschen, die nicht von einer Behinderung betroffen sind, haben andere Themen Vorrang.“
Kommentar
Überfällig
Dominic Körner
Die Zahl überrascht: Lediglich drei von 52 Bushaltestellen in Gaggenau sind behindertengerecht. Das entspricht sechs Prozent. Nimmt man die Haltestellen dazu, die ausschließlich vom Anruflinientaxi bedient werden, ist sogar nur jede 25. Station barrierefrei ausgebaut.
Nun gibt es nicht erst seit gestern behinderte Menschen, sondern schon immer. Das wirft die Frage auf, warum sich die Stadt Gaggenau nicht bereits früher um deren Bedürfnisse gekümmert und die Haltestellen umgebaut hat, zumal die Stadtkasse angesichts sprudelnder Steuereinnahmen jahrelang gut gefüllt war. Dass auch andere Kommunen das Thema bislang stiefmüttlerlich behandelt haben, zeigt eine vom Karlsruher Verkehrsverbund in Auftrag gegebene Bestandserhebung, macht es aber nicht besser.
Jetzt endlich zwingt sie das Gesetz zum Handeln. Bis 2022 müssen Städte und Gemeinde eine vollständige Barrierefreiheit im ÖPNV sicherstellen. Es sei denn, es sprechen triftige Gründe dagegen. Die Stadt Gaggenau weist beispielsweise darauf hin, dass sie die Frist aus finanziellen und technischen Gründen nicht einhalten kann. Dabei wäre das sicher möglich gewesen – hätte man nur zeitiger damit begonnen.